Tragödie an der BORG-Schule: Minutenprotokoll und polizeiliche Erkenntnisse. Wie hätte der Schaden minimiert werden können?

Wir beabsichtigen, den Ablauf des Amoklaufs an der Grazer BORG-Schule minutengenau und schematisch zu analysieren, um durch ein detailliertes Verständnis des Tatverlaufs offene Fragen zu klären und mögliche Maßnahmen zur Prävention zu erarbeiten.

  • 09:43 Uhr: Der 21-jährige Täter betrat die BORG-Schule in Graz über den Haupteingang mit einem Rucksack, der zwei legal erworbene Schusswaffen (kurze Pistole, Langwaffe) und Munition enthielt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 350–400 Schüler in der Schule.
  • ca. 09:43–09:57 Uhr: Der Täter begab sich ins dritte Obergeschoss, suchte eine Toilettenanlage auf, legte einen Waffengurt mit daran befestigtem Jagdmesser an, setzte eine Schießbrille und ein Headset auf und bereitete die Schusswaffen vor.
  • 09:57 Uhr: Beginn des Amoklaufs. Der Täter ging ins zweite Obergeschoss, eröffnete wahllos das Feuer auf Personen (Schüler der 5. Klasse betroffen) und setzte den Angriff im dritten Obergeschoss fort (Schüler der 7. Klasse betroffen). Er erzwang gewaltsam den Zutritt zu einem versperrten Klassenraum der 8. Klasse und eröffnete dort das Feuer.
  • 10:00 Uhr: Zu diesem Zeitpunkt gingen die ersten Notrufe bei der Polizei unter der Notrufnummer 133 ein. Die Polizei Steiermark bestätigte dies gegenüber der unabhängigen Initiative Pro Polizei Österreich.
  • 10:06 Uhr: Die erste Polizeistreife mit schwerer Schutzausrüstung traf am Tatort ein und betrat das Schulgebäude. Zu diesem Zeitpunkt waren keine Schüsse mehr wahrnehmbar.
  • 10:07 Uhr: Der Täter beendete den Amoklauf, indem er sich in der Toilettenanlage im dritten Obergeschoss durch einen Schuss in den Kopf das Leben nahm. Im Verlauf der Tat fielen nach übereinstimmenden Medienberichten und Zeugenaussagen zahlreiche Schüsse – teils ist von rund 40 die Rede. Eine offizielle Bestätigung durch die Polizei steht dazu noch aus.
  • 10:17 Uhr: Spezialeinheiten (Schnelle Interventionsgruppe, Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität, Einsatzkommando Cobra) trafen ein und sicherten das Gebäude, wodurch Rettungskräfte Zugang erhielten.
  • Mittagszeit (ca. 12:00 Uhr): Nach gerichtlicher Bewilligung wurde eine Hausdurchsuchung in der Wohnung des Täters im Bezirk Graz-Umgebung durchgeführt. Sprengstoffexperten stellten eine nicht funktionsfähige Rohrbombe, digitale Datenträger (Handy, USB-Stick, Laptop), handschriftliche Notizen, einen Abschiedsbrief und ein Abschiedsvideo sicher.

(Datenquelle: Landespolizeidirektion Steiermark)

Schnelles Eingreifen verhinderte wohl noch Schlimmeres

Die Polizei war in Rekordzeit vor Ort: Bereits um 10:06 Uhr – nur sechs Minuten nach dem ersten Notruf – traf die erste Streife mit Schutzweste, Helm und Langwaffe am Einsatzort ein. Nur eine Minute später, um 10:07 Uhr, beging der Täter Suizid. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das sichtbare und entschlossene Auftreten der Einsatzkräfte den Täter abschreckte und seinen weiteren Amoklauf beendete.

Dieses Einsatzbeispiel zeigt eindrucksvoll, wie wertvoll die umfassende Ausbildung aller Polizistinnen und Polizisten in Österreich ist. Selbst Beamtinnen und Beamte im regulären Streifendienst sind durch fortlaufendes Training und moderne Ausrüstung in der Lage, innerhalb von Minuten in kritische Situationen – bis hin zu Terrorlagen – einzugreifen. Wie schon bei der Terrorattacke in Wien 2020 kann diese Fähigkeit Leben retten – schneller als es Spezialkräfte aufgrund ihrer komplexeren Einsatzlogistik oft leisten können.

Ermittlungsgruppe „Luktus“ klärt Hintergründe

Zur Aufklärung der Tat wurde die Ermittlungsgruppe „Luktus“ eingerichtet. Der Name stammt vom lateinischen Wort luctus, das „Trauer“ bedeutet, und soll das tiefe Mitgefühl mit den Opfern und Angehörigen zum Ausdruck bringen. Die Gruppe besteht aus 16 Expertinnen und Experten verschiedener Fachbereiche des Landeskriminalamts Steiermark und wird von weiteren Behörden wie dem Bundeskriminalamt unterstützt.

Wie können wir unsere Kinder in der Schule so schützen, dass sie angstfrei und ohne Gefahr lernen dürfen?

Laut Medienberichten wird spekuliert, dass der 21-jährige Täter in seiner Schulzeit gemobbt wurde, obwohl sein Abschiedsbrief kein klares Motiv nennt, wie die Polizei bestätigte. Der Täter verließ die Schule ohne Abschluss und lebte zurückgezogen. Laut Bundesheer-Sprecher Oberst Michael Bauer wurde der Amokläufer 2021 bei der Stellungskommission des Bundesheeres als psychisch untauglich eingestuft, weshalb ihm der Dienst an der Waffe verweigert wurde. Warnsignale, die hätten wahrgenommen werden müssen. Dennoch erhielt er im Alter von 21 Jahren eine Waffenbesitzkarte, für die ein psychologisches Gutachten erforderlich war, und erwarb legal eine Pistole und eine Schrotflinte.

Diese Widersprüche zwingen uns, die Unterstützung für Jugendliche und die Vergabe von Waffenscheinen kritisch zu hinterfragen. Ein junger Mensch, der weder die Matura abschloss noch beruflich integriert war, hätte intensivere Begleitung benötigt. Österreich, ein Land mit renommierten Psychologen und Expertinnen, muss prüfen, ob vorhandene Ressourcen effektiv genutzt werden. Jugendliche, die sich zurückziehen oder sich politisch radikalisieren, brauchen gezielte Förderung, um sie von gefährlichen Gedanken abzubringen. Ein doppeltes Versagen – kein Schulabschluss und soziale Isolation – sollte Behörden alarmieren, gerade in Graz, wo offenbar präventive Maßnahmen fehlten.

Auch die Waffengesetzgebung bedarf einer Reform. Laut einem Psychologen in der ORF-ZIB 2 am 11. Juni 2025 werden derzeit 10-15% der Waffenschein-Anträge abgelehnt, doch ein strengerer Filter von etwa 40% könnte die Sicherheit erhöhen. Eine Altersgrenze von 26 Jahren für Waffenscheine – ausgenommen Sicherheitskräfte mit Matura und bestandenem Eignungstest – könnte impulsive Taten durch unreife junge Erwachsene verhindern. Außerdem sollten psychologische Gutachten im 4-Augen-Prinzip geprüft werden, das heißt Psychologen und Waffenschein-Beauftragte entscheiden gemeinsam.

Mobbing bleibt eine ernstzunehmende Herausforderung, eine Gewaltform, die laut Experten wie Wolfgang Kindler (Die Welt) tiefgreifende Schäden verursacht – oft noch Jahre später. Dennoch rechtfertigt Mobbing keine willkürliche Gewalt gegen Unschuldige, wie sie der Täter ausübte. Schulen müssen Präventionsprogramme intensivieren, um Mobbing frühzeitig zu erkennen und Betroffene besser zu unterstützen – damit sie nicht in Isolation oder Rachegedanken verfallen. Wer mobbt, muss bestraft werden – Schüler ebenso wie Lehrer. Das Problem besteht darin, dass wir in der neuen Welt einer allzu großen Toleranz oft blind werden für diese Herausforderung.

Die falsch verstandene „Toleranz um jeden Preis“ führt nicht zur Lösung, sondern begünstigt Probleme, so die Initiative Pro Polizei Österreich.

Die Sicherheit an Schulen ist unzureichend und das muss klar betont werden

Der Täter betrat das Schulgebäude unkontrolliert – allein die Tatsache, dass ein junger Mensch mit einem Rucksack Zugang erhält, reicht nicht aus. Auch ein elektronisches Zugangssystem mit Badge-Kontrolle könnte hier helfen.

Viele Schulen weltweit setzen Metalldetektoren ein, besonders nach Vorfällen wie in den USA. Ein modernes Torsystem mit integriertem Metalldetektor am Haupteingang könnte verdächtige Gegenstände frühzeitig erkennen – ohne großen Personalaufwand.

Der gestrige Vorfall in Frankreich, bei dem eine Schulassistentin bei einer Waffenkontrolle erstochen wurde, zeigt, wie wichtig es ist, Kontrollen sicher zu gestalten – zum Beispiel durch Distanz zwischen Personal und Verdächtigen.

Die Initiative „Pro Polizei Österreich“ schlägt Umfragen vor, die zeigen könnten, dass viele Eltern solche Maßnahmen unterstützen. Auch viele Eltern in Österreich, auch bei uns in der Redaktion, würden dies befürworten.

Die psychische Gesundheit von Jugendlichen muss endlich Priorität bekommen: frühzeitige Interventionen, strengere Waffengesetze und sichere Zugangskontrollen könnten unsere Schulen zu angstfreien „Lernorten“ machen. Sind wir bereit, die nötigen finanziellen und gesellschaftlichen Ressourcen dafür zu investieren – oder wollen wir weiterhin auf Toleranz und Statistik setzen?

Opfer und Öffentlichkeit tief erschüttert

Wir sind tief erschüttert. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Die ganze Schulgemeinschaft steht unter Schock. Psychologische Betreuung wurde durch die Bildungsdirektion Steiermark kurzfristig bereitgestellt.

Der Blick der Welt richtet sich derzeit auf Österreich – ein Land, das international für Stabilität, Bildung und Sicherheit geschätzt wird. Internationale Medien berichten intensiv über das Geschehen in Graz, und viele Menschen beobachten genau, wie mit dieser Tragödie umgegangen wird. Das Mitgefühl ist groß – ebenso wie das öffentliche Interesse an den weiteren Ermittlungen und politischen Konsequenzen.

(Bild: Von Wgraz – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=124025974 )

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